Natalia Bakshi (Russische Staatliche Universität für Geisteswissenschaften)
Ausgehend von dem Begriff „translational turn“ wird in dem Beitrag die „Unübersetzbarkeit“ des Schweizer Schriftstellers Robert Walser reflektiert und die vermittelnden Strategien erläutert, die der russische Schriftsteller Michail Schischkin benutzt, um den Schweizer in die russischen Kontexte einzuschreiben und den Rezeptionshorizont in der aufnehmenden Kultur zu erweitern. In dem Beitrag wird das Essay von Schischkin Walser und Tomzack analysiert, wo intertextuelle Interferenzen am deutlichsten sind. Schischkin schreibt ein biographisches Essay über Walser, ohne seine schweizerische Spezifik zu erwähnen. Vielmehr schreibt er Walser in den Kontext der Weltliteratur und vor allem der russischen Literatur ein. Walser wird in die klassische Opposition der russischen Literatur - Heiliger vs. Schriftsteller - eingeschlossen. Sein Leben kreuzt sich mit dem Leben von Lenin in Zürich, allerdings ohne dass beide einander wahrnehmen. Auch wird er mit der berühmten Gogol-Figur des kleinen Menschen Akakij Akakievitsch verglichen. Schischkin verneint irgendwelche Einflüsse auf den Schweizer Schriftsteller, betont aber die Übereinstimmungen zwischen ihm und russischen Stilisten wie Platonov, Chekhov, Bunin und Nabokov. Dadurch wird Walsers Text Der Spaziergang zum Spaziergang durch die russische Literatur und Walser selbst zu einer literarischen Figur des russischen Schriftstellers Michail Schischkin.
12:15 Uhr
Brückenbau und/oder Narzissmus? Zur Übersetzungstätigkeit der Autoren der deutschen Literatur Prags im frühen 20. Jahrhundert
Das kanonische Verständnis der ausgiebigen Übersetzung literarischer Texte durch Prager deutsche Autoren wie Rudolf Fuchs, Franz Werfel, Paul Eisner, F. C. Weiskopf, Louis Fürnberg u.a. aus dem Tschechischen ins Deutsche wurde auf der „Weltfreunde“-Tagung in Liblice (1965) zusammen mit der grundsätzlichen ‚Fassung‘ der sogenannten „Prager deutschen Literatur“ etabliert. Paul Reimann sprach den Autoren – gut marxistisch – eine „internationalistische Gesinnung“ zu; Eduard Goldstücker erklärte ihre „kulturelle Vermittlerrolle [...] zur wahrhaft historischen Funktion der Prager deutschen Literatur“. Dem hat Scott Spector widersprochen, indem er das Übersetzen der Prager deutschen Autoren vielmehr einer egoistischen Überlebensstrategie geschuldet sein ließ. So hätten sie einen „‚middle ground‘ of mediation inhabitable only by themselves“ schaffen wollen, „that they could safely occupy as its national poets“. In seiner Antwort schrieb Hillel J. Kieval: „to view cultural mediation exclusively as an exercise in narcissism is unfair.“ Am Vorabend „of Europe‘s capitulation to fascism“ für einen sprachlichen Pluralismus einzutreten, sei vielmehr „courageous“ gewesen.
Im Entweder-Oder von hehrer kultureller Vermittlung und bloßen Eigeninteressen ist die Diskussion seitdem festgefahren. Der Vortrag wird dem ein Erklärungsmuster entgegensetzen, dass beide Aspekte in einen deutlich umfassenderen Blick auf die deutsche Literatur Prags integriert.