Gabriella Sgambati (Univ degli studi di Napoli L'Orientale)
In der traditionellen Übersetzungswissenschaft wird „Übersetzung“ definiert als „Substitution“ eines Textes. Der Schlüsselbegriff in dieser Konzeption ist der Begriff der Äquivalenz, und diese war entsprechend gewöhnlich das Hauptkriterium für die Evaluation einer Übersetzung. Die kulturelle Dimension findet in der Übersetzungstheorie erst seit den 1990er Jahren stärkere Beachtung (Stolze 2003).
In diesem Beitrag wird an den Texten von Yoko Tawada vorgeführt, auf welche Weise Mehrsprachigkeit die Adäquanz der langtradierten translationstheoretischen Kategorien „Ausgangssprache“, „Zielsprache“, „Ausgangskultur“, „Zielkultur“ oder „Äquivalenz“ in Frage stellt. Mehrsprachige Werke stellen für die konventionellen Definitionen von „Übersetzung“ und die problematischen Dichotomien von „Original“ und „Übersetzung“, „Autor“ und „Übersetzer“ eine ganz neue Herausforderung dar. Diese Begriffe verlieren ihre Eindeutigkeit, sie nehmen hybride Gestalten an und zeigen einzigartige Kontaminationen. In dieser Art von Texten wird das Verhältnis von Übersetzung und Original fraglich und die Grenze der Polyphonie und der Anderssprachigkeit wird aufgezeigt. Übersetzen lässt sich als ein Transferprozess zwischen dem Fremden und dem Eigenen verstehen, Translation ist für Tawada niemals nur ein sprachliches Phänomen, sondern immer auch Kulturübersetzung. Wie sie mehrmals betont hat, ist das sogenannte Original kein Original (Kloepfer 1998).
10:15 Uhr
Interkulturalität als Gesellschaftskritik bei Wilhelm Raabe
Inwiefern kommt interkulturellen Situationen in literarischen Texten des Realismus die Funktion zu, auf problematische gesellschaftliche Strukturen, Praktiken und Semantiken hinzuweisen? Inwiefern lenkt die Textgestaltung interkultureller Situationen den Blick auf 'Normalitäten' der Gesellschaft, die ansonsten kaum kritischer Beobachtung unterzogen werden? Und wenn dies der Fall ist, wodurch genau gelingt es den Texten, die ja nicht unmittelbar auf die gesellschaftlichen Realitäten verweisen, tatsächlich Kritik zu formulieren? Diesen Fragen wird am Beispiel von Erzählungen und Romanen Wilhelm Raabes nachgegangen. Interkulturelle Situationen in Raabes Texten werden als Kritik zwischenmenschlicher Empathieblockaden, gesellschaftlicher Ungleichheit, einzelner Wissenschaftszweige und deren Erkenntnismethoden, der Ökonomie, der Medien, der Verwaltung und sowie kulturräumlicher Asymmetrien und des Kolonialismus diskutiert.