Schon früh haben der Dichter Klabund und der namhafte Sinologe Herbert Franke die Möglichkeit eines „verfremdenden“ (i.e. „wörtlichen“) Übersetzens aus dem Chinesischen ins Deutsche in Frage gestellt: „Hier, beim Chinesischen das Ideal der ‚Wörtlichkeit‘ aufzustellen, wäre kaum zu vertreten. [...]“.
Erstaunlicherweise ist diesem Befund nie weiter nachgegangen worden. Vorarbeiten von mir selbst aufgreifend wird der Vortrag der Frage nachgehen, ob diesem Diktum Frankes zugestimmt werden muss und welche Konsequenzen sich gegebenenfalls daraus auch für das „verfremdende“ Übersetzen zwischen westlichen Sprachen und damit für eine Übersetzungstheorie und -kritik ergeben, die in den Vorstellungsrahmen von „aneignender/freier/illusionistischer“ und „verfremdender/wörtlicher/antiillusionistischer“ Übersetzung eingespannt ist.
Wesentliche, auch neue Begriffe: Verfremdendes/Aneignendes Übersetzen, enharmonische Verwechslung, wohltemperiertes Übersetzen, Anfremdung bzw. Einfremdung, Verfremdung als Überaneignung, Ähnlichkeit und Übersetzung.
10:15 Uhr
Wandlung durch Einsicht – Das Übersetzen und die Entwicklung des Kafka-Bilds in Taiwan
Hung-Yu Dominik Wu (J. Gutenberg-Unversität Mainz, FTSK in Germersheim)
Im Jahre 1960 wurde Franz Kafka erstmals in Taiwan übersetzt. Die ersten chinesischen Übersetzungen der Werke Kafkas wurden in der literarischen Zeitschrift Modern Literature, deren Ziel eine Erneuerung der chinesischsprachigen Literatur war, veröffentlicht. Kafka wurde nicht nur als repräsentativer Autor der westlichen Moderne, sondern auch als Vorreiter des Existenzialismus, vorgestellt. Durch weitere Übersetzungen Kafkas und andere künstlerische Bearbeitungen seiner Werke wurde das „Kafkaeske“ im Umfeld von Literatur und Kunst zu einem besonderen Stil entwickelt. In dieser Präsentation werden die Übersetzungsgeschichte Kafkas und der Wandel des Kafka-Bildes in Taiwan dargestellt.