Autor:in:
Cesare Giacobazzi (Università di Modena e Reggio Emilia)
Wenn wir eine Fremdsprache lernen, müssen wir eine Lebenserfahrung und die dazu gehörige Sprachkompetenz simulieren lernen, die wir nicht haben. Alles, was uns endgültig sprachlich geprägt hat – erste Erinnerungen, Versprechungen, Lügen usw. – haben wir in einer anderen Sprache und in einer anderen Welt erfahren. Fremdsprachendidaktik hat die Aufgabe, uns verspätet und ersatzweise eine Lebenserfahrung anzubieten, die wir nicht haben und niemals haben werden können. Sie kann also für uns nur eine Kompensation dessen sein, was wir sonst brauchen, um sprachlich aktiv zu sein. Insofern fühle ich mich berechtigt, im Anschluss an eine Formel von Odo Marquard den Spracherwerb als „Kompensationskompetenz der Inkompetenz“ zu bezeichnen. Von dieser Überlegung ausgehend möchte ich versuchen, die Fragen zu beantworten, was es bedeutet, sich bewusst zu sein, dass Fremdsprachendidaktik nur eine kompensierende Funktion haben kann, und wie sich dieses Bewusstsein in der Theorie und in der Praxis des Sprachlernens niederschlagen kann.
Das Fazit sollte ein Plädoyer für eine Fremdsprachendidaktik werden, die nicht nur ein Wissen um die Sprache umfasst, sondern „ein Wissen um das Menschliche, zu dem das Veränderliche und Zufällige, das Allzumenschliche gehört“. Dieses Wissen muss sich allerdings nicht nur mit Verlusten auseinandersetzen, sondern auch mit Gewinnen, denn eine skeptische FSD, die Abweichungen nicht unbedingt vermeiden will, gewinnt den Sinn für die Buntheit unserer Sprachwirklichkeit.