Raum:
P10 (00 441 P10)
Thema:
Symposium: Kinder und Jugendliche in Gefährdungslagen – sexueller Missbrauch, Vernachlässigung und Fehlentwicklungen in Familiensystemen
Präsentationsart:
Forschungsreferat (im Rahmen eines Symosiums)
Dauer:
90 Minuten
16:15 Uhr
Stigmatisierung und Risikoeinschätzung von (Stief-)Vätern mit sexueller Vordelinquenz und paraphilen Störungen - Ergebnisse einer Online Studie psychologischer Sachverständiger
Judith Iffland | Medical School Hamburg | Germany
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Autor:innen:
Judith Iffland | Medical School Hamburg | Germany
Alexander F. Schmidt | Joh. Gutenberg-Universität Mainz (JGU)
In der rechtspsychologischen Begutachtungspraxis mehren sich Anfragen von Familiengerichten, die um eine sexualforensische Risikoeinschätzung bezüglich einer etwaigen Kindeswohlgefährdung (KWG) bitten. Hintergrund dieser Aufträge sind entweder Vorstrafen oder laufende Ermittlungen wegen Sexualdelikten und/oder Hinweise auf paraphile Interessen männlicher Fürsorgeberechtigter. Rechtspsycholog:innen aus den Bereichen Kriminalprognose aber auch Familienrechtspsychologie sollen vor dem Hintergrund derartiger sexualforensischer Auffälligkeiten das Risiko für innerfamiliäre sexuelle Grenzverletzungen beurteilen, obwohl die Forschungslage in diesem Bereich sehr heterogen ist. Mithilfe einer Online Studie wurden 153 psychologische Sachverständige zu Einstellungen bzgl. der Gefährlichkeit von männlichen Fürsorgeberechtigten mit einer Vorstrafe wegen sexuellen Missbrauchs, dem Besitz von Missbrauchsabbildungen, einer pädophilen Störung und einer anderen paraphilen Störung befragt sowie stigmatisierende Einstellungen gegenüber Personen mit einem hauptsächlichen Interesse an Kindern mithilfe des Stigma-Inventar von Jahnke et al. (2015) erhoben. Mithilfe einer Netzwerkanalyse konnte u.a. gezeigt werden, dass der Besitz von Missbrauchsabbildungen sowie das Vorliegen einer pädophilen Störung den stärksten Einfluss im Netzwerk hatten. Deskriptiv stimmten ein Drittel der Befragten zu, dass der Besitz von Missbrauchsabbildungen die Erziehungsfähigkeit reduziert und eine KWG darstellt. Im Falle einer pädophilen Störung wurde dies von der Hälfte aller befragten Sachverständigen bejaht. Es wird diskutiert, das kriminalprognostische Sachverständige häufiger in familienrechtliche Verfahren einbezogen werden sollten, um Stigmatisierungen von vorbestraften Fürsorgeberechtigten zu verhindern und das Risiko für innerfamiliären sexuellen Missbrauch valider einzuschätzen.
16:33 Uhr
Kindeswohl in (Clan-)kriminellen Strukturen – kriminalprognostische und familienrechtspsychologische Überlegungen
André Körner | Medical School Berlin | Germany
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Autor:innen:
André Körner | Medical School Berlin | Germany
Robert Lehmann | Medical School Berlin | Germany
Die so genannte „Clankriminalität“ hat in den letzten Jahren nicht nur mediale Aufmerksamkeit erlangt, sondern findet sich auch in polizeilichen Lagebildern wieder und hat als Form „Organisierter Kriminalität“ einen wachsenden sicherheitspolitischen Stellenwert erlangt. Das Aufwachsen in einem Clan-Milieu kann einerseits positive Auswirkungen haben, wie ein Zugehörigkeitsgefühl und Unterstützung, andererseits können traditionelle und restriktive Geschlechterrollen zu Fehlsozialisationen führen und mit der Rechtsordnung kollidieren. Einige Mitglieder von Clans prägen das gesellschaftliche Bild mit kriminellen Handlungen, was zu Stigmatisierung und Diskriminierung führt. Jugendliche aus solchen Milieus begehen häufiger und früher Gewaltstraftaten; sie zeigen im Haftvollzug auffälligeres und gewalttätigeres Verhalten; ihre Legalprognose ist oft negativ. Eine frühe und multidisziplinäre Intervention ist notwendig, um die kriminogenen Faktoren innerhalb des Milieus zu reduzieren, Straftaten einzudämmen sowie die Übertragung delinquenten Verhaltens auf die nächste Generation zu verhindern. Hierzu trifft sich seit November 2020 eine Expert:innengruppe aus den Bereichen Rechtswissenschaft, Rechtspsychologie, Sozialwissenschaft, Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie der Jugendhilfe. Ziel ist es, die Gefährdungslage für Kinder in sogenannten Clan-Milieus zu analysieren und praktische Veränderungsmöglichkeiten sowie Eingriffsschwellen zu diskutieren. Im Rahmen des Vortrags werden die Ergebnisse vorgestellt und insbesondere Herausforderungen für Rechtspsycholog*innen in Bezug auf das Kindeswohl in kriminellen familiären Umfeldern diskutiert. Dabei diskutieren wir Überlegungen zur Gefährlichkeitsprognose sowie Eingriffsmöglichkeiten aus der familienrechtspsychologischen Perspektive (bspw. wegen Vernachlässigung oder fehlender Fürsorge). Wir beziehen außerdem international vergleichbare Studien zu Fehlsozialisation in kriminellen Milieus ein und diskutieren kriminalprognostische Überlegungen an einem konkreten Einzelfall.
16:51 Uhr
«Ausgebrannte Eltern – misshandelte Kinder?» Der Einfluss von Elternburnout und anderen Risikofaktoren auf Kindsmisshandlung und -vernachlässigung
Paula Krüger | Hochschule Luzern | Switzerland
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Autor:innen:
Paula Krüger | Hochschule Luzern | Switzerland
Seraina Caviezel Schmitz | Hochschule Luzern | Switzerland
Kindererziehung ist eine komplexe Aufgabe, die bei Eltern nicht nur zu Stress, sondern – wie Erwerbstätigkeit auch – zu einem Burnout führen kann. Dabei ist Elternburnout ein eigenständiges Syndrom, auch wenn Zusammenhänge zwischen Elternburnout und Depressionen, Arbeitsburnout und elterlichem Stress nachgewiesen werden konnten. So umfasst Elternburnout drei spezifische Dimensionen: (1) überwältigende Erschöpfung im Zusammenhang mit der Elternrolle, (2) emotionale Distanzierung von den eigenen Kindern und (3) das Gefühl des Ungenügens in der Elternrolle. Bisher noch relativ wenig untersucht sind mögliche Folgen elterlichen Burnouts. Es liegen jedoch u. a. erste Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Elternburnout und der Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern vor. Darüber hinaus zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Elternburnout und bekannten Risikofaktoren für Kindsmisshandlung und -vernachlässigung, wie Alkoholkonsum.
Im Rahmen einer Langzeitstudie zu Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf innerfamiliäre Gewalt wurde in der letzten Befragungswelle 2022 u. a. der Einfluss von Elternburnout und anderen Risiko- und Schutzfaktoren (u. a. Alkoholkonsum, soziale Unterstützung) auf Kindsmisshandlungen und -vernachlässigung durch die Eltern untersucht. Befragt wurde eine strukturrepräsentative Stichprobe (N = 1’766) der Schweizer Bevölkerung, von der 18 % Eltern minderjähriger (Stief-/Pflege-)Kinder waren.
Der angenommene Einfluss von Elternburnout im Zusammenspiel mit weiteren Risiko- und Schutzfaktoren auf Kindsmisshandlung und -vernachlässigung wurde mit Hilfe von Partial-Least-Squares-Pfadanalysen geprüft, in die 310 befragte Eltern eingeschlossen wurden. Insgesamt zeigen die Ergebnisse auch für die befragten Schweizer Eltern einen Zusammenhang zwischen Elternburnout und Kindsmisshandlung und -vernachlässigung sowie das komplexe Zusammenspiel der Risiko- und Schutzfaktoren hierbei. Im geplanten Vortrag werden die Befunde präsentiert und mit Blick auf Präventionsmöglichkeiten diskutiert.
17:09 Uhr
Implizite Risikomodelle für Kindeswohlgefährdung – Eine Conjoint-Analyse bei Hebammen
Elena Lauf | Medical School Berlin
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Autor:innen:
Elena Lauf | Medical School Berlin
André Körner | Medical School Berlin | Germany
Vernachlässigung und Misshandlung sind die häufigsten Formen der Kindeswohlgefährdung. Die schnelle und richtige Einschätzung von Gefährdungslagen bei Säuglingen ist entscheidend, wenn eine Inobhutnahme oder ein Sorgerechtsentzug im Raum stehen. Im Vergleich zu anderen Lebensphasen besteht hier die höchste Sterblichkeitsrate durch Kindeswohlgefährdung. Bei der Risikoeinschätzung sind oft verschiedene Personen beteiligt und halten sich, bspw. bei der Verwendung von Kinderschutzbögen, an empirische belegte Risikofaktoren. Gleichzeitig verwenden sie auch implizite Risikomodelle, die verschiedene Risikofaktoren gewichten und verbinden. Wir wollten wissen, ob und wie sich empirisch bekannte Risikofaktoren in den impliziten Risikomodelle von Fachexpertinnen wiederfinden. Hierzu haben in einer Online-Studie 100 deutsche Hebammen mithilfe von Conjoint-Analysen bezüglich dreier belegter Risikofaktoren befragt: (1) Alter und (2) psychische Erkrankung der Mutter sowie (3) Verhaltensauffälligkeiten des Säuglings. Die Ergebnisse zeigen, dass einige Risikofaktoren besonders hervorstechen und andere weniger. In Bezug auf die spezifischen Merkmale zeigten sich insbesondere eine Schizophrenie oder Borderline Persönlichkeitsstörung der Mutter als wichtige Risikofaktoren für eine drohende Kindeswohlgefährdung. Wir diskutieren die Ergebnisse vor dem Hintergrund möglicher Interventionsansätze oder Vorteile für Begutachtungsanlässe. Gleichzeitig möchten wir diskutieren, für welche weiteren rechtspsychologischen Fragestellungen Conjoint-Analysen eine geeignete Methode sind.
17:27 Uhr
Risikokonstellationen für Familizide
Stefanie Horn | Deutsche Hochschule der Polizei | Germany
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Autor:innen:
Stefanie Horn | Deutsche Hochschule der Polizei | Germany
Catharina Vogt | Deutsche Hochschule der Polizei
Thomas Görgen | Deutsche Hochschule der Polizei | Germany
Delikte, bei denen im Kontext von Beziehungsdynamiken neben (früheren) Intimpartner:innen auch Kinder getötet werden (Familizide), sind glücklicherweise seltene Ereignisse. Dennoch bedarf es einer besonderen Betrachtung dieser Konstellationen, um zu verstehen, aus welchen Gründen die vorwiegend männlichen Täter auch Kinder in ihre Tötungshandlungen einbeziehen. Erste Studien weisen darauf hin, dass täterseitige psychische Erkrankungen, Waffenbesitz und weitere Warnsignale, die typischerweise auch vor Intimiziden vorkommen, wichtige Prädiktoren für Familizide darstellen. So weisen Studien auf eine grundsätzliche Verwendbarkeit von Risikoanalyseinstrumenten für Intimizide bei der Prävention von Familiziden hin. Aktuell mangelt es jedoch an Daten, welche eine spezifische Einschätzung des Risikos für Familizide in Abgrenzung zu Intimiziden ermöglichen. Auf der Grundlage einer Aktenstudie werden mögliche Risikokonstellationen für Familizide auf der Eben von Personen, Lebenssituationen und Beziehungsdynamiken erörtert. Ausgehend hiervon werden Möglichkeiten der Prävention von Familiziden diskutiert.